Samstag, 19. März 2011

San Salvador

in der Personalform

Ich sass wieder einmal an dem Holztisch, in meiner Ecke und machte mir Gedanken darüber, wie ich es schreiben sollte. Im spärlichen Licht einer Kerze begann ich damit, die Füllfeder zu testen, die ich am Nachmittag speziell für diesen Brief gekauft hatte. Zuerst kritzelte ich mehrmals meine Unterschrift, dann kamen meine Initialen, meine Adresse, die eine oder andere Wellenlinie und zuletzt die Adresse meiner Eltern dazu. Mein neuer Füller hatte den Test bestanden, ich war zufrieden mit der Schrift. Nun holte ich aus der, im Tisch eingelassenen, schweren Schublade einen neuen, edleren Bogen heraus und begann mit den ersten Worten: ,,Mir ist es hier zu kalt“, aus dieser Wortkomposition konnte meine Frau schliessen was sie wollte, denn sie war mehrdeutig. All die Bedeutungen die man daraus schliessen konnte, trafen zu. Meine Hände schrieben, aus lauter Gewohnheit, mechanisch weiter: ,, ich gehe nach Südamerika.“ Ich hielt inne, betrachtete den Bogen mit dem einen, schwerwiegenden Satz und fragte mich, ob ich diesmal den Mut aufbringen konnte und es durchziehen würde. Die letzten 11-mal blieb es nur beim schreiben, es kam nie zur Ausführung. Zuletzt setzte ich meinen Namen darunter, Paul.

Ich begann die Zeitungen vom Tisch zu räumen, dabei fielen mir die Kinoinserate ins Auge. Ich musste immer wieder darüber nachdenken, ob es das Richtige war, was ich da tat. Ob meine Kinder es mir je verzeihen könnten, was ich gerade im Sinn hatte zu tun. Ob ich glücklicher werden würde. Was würde mit der Familie passieren? Wie sollte meine Frau mit dieser Situation auskommen? Nicht dass sie mich stark vermissen würde, denn die Ehe war schon lange nicht mehr die, die sie mal war, doch wie sollte eine Frau in einer solchen Lage alleine auskommen? Ich versuchte mich zu beschwichtigen, redete mir ein, dass sie einen neuen, besseren Mann finden würde, dass die Kinder ihn schnell mögen und mich vergessen werden. Alle könnten glücklicher werden, denn auch ich würde mein verlorenes Glück wieder finden, in der Sonne des Südens. Während all diesen Gedanken räumte ich den Aschenbecher weg, zerriss meinen Zettel, auf dem ich anfangs meinen Füller testete und füllte diesen mit einer anderen Tinte. Ich konnte mich mit nichts mehr ablenken, denn die Kinovorstellung war schon fast zu Ende und Hildegard, meine Frau, würde auch schon bald heimkommen. Ich sass da, ganz in meine Gedanken versunken und wartete auf sie. Ich starrte die ganze Zeit auf den Brief, der über meine Zukunft entscheiden würde. Er lag bedrohlich mitten auf dem Tisch und zeigte mir gnadenlos immer wieder den gleichen Text: ,,Mir ist es hier zu kalt…“

Ich konnte mir das Szenario nur zu genau vorstellen. Wie Hildegard von ihrem Chor heimkommen würde, gut gelaunt und müde wie immer. Wie sie in den Wohnraum kommen, das Licht einschalten würde, sich über die Kerze aufregen würde, die ich ohne Rücksicht angelassen hätte. Sie würde den Brief sehen. Ihn kurz überfliegen, ihn wenden. Mit der Vorahnung es könnte nur ein dummer Spass von mir sein, um ihre Aufmerksamkeit zu beanspruchen. Die Arme würde nicht wissen wie sie reagieren sollte. Ob sie aus Verzweiflung die Hemden zählen gehen sollte oder ob sie es für einen schlechten Scherz eines langweiligen Ehemannes halten sollte. Sie würde beides tun, halb lächelnd ins kleine , dunkle Zimmer gehen, die Schranktüre voller Nervosität aufschlagen, dabei die schlafenden Kinder, im Zimmer neben an wecken und beginnen jedes einzelne Hemd im Schrank rauszureissen und durchzuzählen. Vor steigender Angst würde sie im Löwen anrufen, um gleich darauf zu merken, dass dieser Laden mittwochs geschlossen ist. Sie würde zurück ins Wohnzimmer gehen, sich vor den Tisch stellen, den Brief auf heben, den sie in der Hektik fallen gelassen hätte und mit zittrigen Fingern sich den Mantel aufknöpfen. Den Mantel würde sie auf die Lehne des klapprigen Stuhles legen. Sie würde sich durch die Haare fahren und noch eine Ewigkeit, mit ungläubiger Mine, dort stehen, ohne sich vorstellen zu können wie ein Mann wie ich, ein Langweiler, sich bis nach Südamerika durchschlagen könnte.

Ich sass immer noch an meinem Tisch, versuchte mich abzulenken von all diesen Gedanken, die mir sagten ich solle da bleiben. Die Gebrauchsanweisung konnte ich schon auswendig, auch auf Französisch oder Englisch, nur half das nichts gegen das schlechte Gewissen, welches mich plagte. Wenn ich gehen wollte, musste ich nun gehen, das wusste ich, doch ich konnte es nicht. Irgendetwas hielt mich zurück. Waren es die Kinder, die ruhig und nichts ahnend im Bett lagen? Oder war es vielleicht doch meine Frau? Ich konnte es nicht sagen. Dabei wusste ich genau, dass ich irgendwas in meinem langweiligen Leben ändern musste. Der einzige Weg dazu war zu gehen. Ich fechtete einen inneren Kampf gegen mich selber an. Mein Ego das mir sagte: ,, Geh!“, und mein Gewissen, das mir sagte: ,, Bleib!“. Auf was sollte ich hören? Bis jetzt hörte ich noch immer auf mein Gewissen, doch das brachte mich nicht weiter. Ich wollte was ändern und stand auf um zu gehen. Plötzlich hörte ich aus der Dunkelheit eine vertraute Stimme: ,, Schlafen die Kinder?“ Hildegard strich sich mit ihrer gewohnten Art durch die Haare und wartete im Dunkeln des Flurs auf eine Antwort, während ich den Brief nahm und ihn still verschwinden liess. Es war das 12. mal das mein Gewissen über mich siegte.   

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